Die folgenden ausführungen sind entstanden, ausgelöst durch die diskussionen rund um die initiative der grünen vorwahlen und dabei im besonderen durch die podiumsdiskussion vom 4. Juni. Sie wollen die diskussion grundsätzlich über die frage der zulassung von einzelnen vorwählern hinausführen.

Als gedanken eines völlig außenstehenden sowohl der vorwahlen als auch der grünen reflektieren sie dabei alleine auf deren mediale erscheinungen. Ihnen zugrunde liegt der versuch, die grünen und ihre vertreter im sinne günther walraffs als mögliche agenten innerhalb des derzeitigen politischen systems zu verstehen und ihre äußerungen im rahmen der diskussionen der letzten wochen als erfahrungsbericht  zu lesen, der eine innensicht dieses systems aus dem blickwinkel seiner akteure ermöglicht.

Gleichzeitig möchte ich versuchen, diese erfahrungen den fragen, die für mich durch die initiative der grünen vorwahlen aufgeworfen werden, gegenüberzustellen. Ich halte viele dieser fragen für überaus grundsätzlich und virulent und wie Klaus Werner Lobo in der diskussion bemerkt, scheinen sie mir weit über die konkreten fragen auf ebene der wiener grünen hinauszugehen! Es zeigt sich an diesem Fall ein Dilemma, das sich wohl an vielen stellen unserer derzeitigen gesellschaftlichen verfasstheit verhandeln lässt: Die spannung zwischen der begeisterung einer öffentlichkeit für ein gemeinsames projekt auf der einen seite, und den sachzwängen der historisch gewachsenen strukturen, die zu dessen umsetzung momentan verfügbar scheinen, auf der anderen seite.

Kontur und Identität

Als bewegung, der es um die mobilisierung einer breiten öffentlichkeit für grüne anliegen geht, kann den grünen das rege interesse und die rege anteilnahme, die ausgelöst durch die initiative der grünen vorwahlen auf sie zukommen, eigentlich nur gefallen. als partei jedoch, die sich im versuch, diese anliegen im rahmen täglicher funktionärsarbeit  gesellschaftlich zu verankern, auf möglichst stabile und routinierte strukturen stützten möchte, um interne reibungen möglichst zu minimieren, müssen ihnen und ihren funktionären die damit verbundenen unwägbarkeiten wohl angst machen. Somit stellt sich, wie Markus Rathmayer andeutet, für die grünen die frage, wie weit sie sich öffenen können, ohne ihrer interenen strukturen und damit ihre handlungsfähigkeit sowie ihr äußeres bild und damit ihre identifizierbarkeit zu gefährden.

Wo wir stehen

Der zugang zu definitionsmacht über gesellschaftliche probleme und lösungsstrategien scheint in unserer gesellschaft derzeit in einem system der repräsentativen demokratie verwaltet, das die damit verbundene politische arbeit in eine definierte abfolge geschlossener institutionen zwingt. Der grad der teilhabe an dieser macht wird dabei unter den akteuren im rahmen eines wettbewerbs um größtmögliche öffentlichkeit und volksnähe verhandelt, der im rahmen von wahlen entschieden wird. Somit wird der grad an öffentlichkeit und zustimmung zur kernresource und zum knappen gut politischen wirkens.

Doch gerade die herstellung dieser öffentlichkeit und volksnähe erscheint  mit großen mühen verbunden: Parteien benötigen eine große zahl von helfern und mitarbeitern, um diese arbeit des zettel verteilens, stände aufstellens, plakate klebens etc. überhaupt leisten zu können. so ist aus sicht der grünen verständlich, dass sie sich mit dem ziel, größerer teilhabe näher zu kommen, von den vorwählern mitarbeit in der partei wünschen und teilweise auch zu einer aufnahmebedingung machen. Damit wird auf ebene des einzelnen akteurs innerhalb des systems verständlich, dass mit dauer und ausmaß geleisteter basis- und gremienarbeit auch der anspruch auf teilhabe wächst, sich status und einfluss innerhalb einer partei nicht nur inhaltlich sondern auch über biographische parameter zu konstruieren scheinen.

und wie müde dabei

Wenn parteiinterne arbeit über jahre untentgeltlich und so oftmals neben der eigenen erwerbsarbeit zu leisten ist, wird klar, dass sich über die jahre damit auch erwartungen und ansprüche beim einzelnen aufbauen, die aufgrund der diskrepanz zwischen der großen zahl der beteiligten akteure und der vergleichsweise geringen zahl an zu verteilenden, politischen funktionen zwangsweise vielfach frustriert werden müssen. Der anfänglicher idealismus einer großen vielzahl wird damit notwendigerweise mit fortdauer des engagements zunehmend von innerer frustration bedroht, das commitment bröckelt und das system spuckt zyniker aus.Es scheinen hier mechanismen wirksam, an denen wir uns als gesellschaft bereits im rahmen basisdemokratischer projekte der 70er jahre abgearbeitet haben. Auch wenn dieser apparat im rahmen politischer parteien die politische wirksamkeit einiger weniger ermöglicht, erscheint diese doch teuer erkauft.

Muss das so sein?

Genau hier greifen für mich die fragen ein, die die initiative der grünen vorwähler aufwirft.

Erstens die frage nach den politischen strukturen, innerhalb derer wir gesellschaftliche probleme und lösungen verhandeln:

kann politische arbeit nur sinnvoll innerhalb der historisch gewachsenen strukturen funktionieren und müssen wir diese jedenfalls weiterführen, auch wenn sie ihre akteure zunehmend zu verbrauchen scheinen? Ist dieses system ein system, das geeingnet ist, die besten ideen zu befördern oder ist es nicht vielmehr ein system des dicken sitzfleisches und des längsten atems?

Zweitens fragen rund um die konstruktion von öffentlichkeit und zustimmung, der politische auftrag:

Lassen sich öffentlichkeit sowie zustimmung und damit ein politischer auftrag zur repräsentation nur in den derzeitigen, aufwändigen top-down kommunikationen herstellen? Gibt es dafür nicht andere, zum teil effizientere möglichkeiten? Müssen inhalte und konzepte jedenfalls vorwiegend parteiintern enwickelt werden, um sie dann in einer top-down kommunikation zu vermitteln? Kann diese inhaltliche entwicklungsarbeit nicht auch durch eine gemeinde von unterstützern getragen werden, die dadurch bereits ungleich direkter involviert und mit den inhalten vertraut sind? Könnten damit nicht in summe resourcen, die derzeit durch die herstellung und aufrechterhaltung von kommunikationsprozessen zwischen partei und wähler gebunden sind, befreit werden und damit vermehrt inhaltlicher arbeit zu gute kommen?

Politik als open source projekt

Die derzeitige benchmark – strategie zur bestmöglichen repräsentation des wählerwillens stellt wohl immer noch der wahlkampf der klaren und einfachen botschaften dar: die slogans die auf den plakaten zu lesen sind, die man sich im zuge der wahlentscheidung quasi aneignet, werden von den gewählten repräsentanten wortwörtlich bis in die debatten im parlament getragen. Als ob man selber sprechen würde. Stellvertretung und worttreue in vollendung!

Auf diesem gebiet sind für die grünen, deren botschaften traditionellerweise eher so komplex wie das leben selbst als einfach sind, parteien wie die FPÖ wohl uneinhohlbar. Ich sehe jedoch eine konkrete möglichkeit auf anderem weg ähnliches zu erreichen:

die grünen könnten vorerst einen bruchteil ihres budgets in einem der politischen gremien einem zweck widmen, den sie innerhalb eines öffentlichen marktplatzes (internetforum) aushandeln und bestimmen lassen. Die grünen werden in diesem fall inhaltlich in direktem auftrag tätig: das forum entscheidet, welchem sachverhalt diese budgetmittel (die mitarbeiterstunden) gewidmet werden sollen, was ausgearbeitet, untersucht, verglichen, geforscht wird. Je nach thema bilden die grünen ein gremium der inhaltlich geeignetesten köpfe für die bearbeitung des projektes. Anschließend werden die ergebnisse präsentiert und einer weiteren verwendung zugänglich gemacht, sowie gegebenenfalls in institutionelle strukturen eingebracht.

Ausblick

Wikipedia und die diskussionen rund um seine entwicklung können hier über die möglichkeiten und schwierigkeiten einer derartig offenen, partizipativen struktur informieren. Als basisdemokratische struktur mit quasi barrierefreiem zugang stieß die seite anfangs aufgrund ihrer ungewöhnlichen offenheit auch auf unverständnis. So lautete einer der ersten kommentare eines nutzers sinngemäß:

„nette seite. ich habe allerdings einen eurer einträge verändert! Nicht um euch zu hacken, sondern um euch zu zeigen, wie leicht ihr zu hacken seid!“

Die Wikipediacommunity war bei der enwicklung der seite getrieben von der sorge um die treffsicherheit ihrer einträge. Letztlich setzte sich aber die gewissheit durch, dass die verschärfung der zugangskontrolle zulasten des wachstums der seite gehen würde. Also wurde beschlossen eine gewissen schwund, eine immanente unschärfe in kauf zu nehmen, um das wachstum der bewegung zu fördern. Gleichzeitig wurde der prozess laufend nachjustiert und verbessert.

Ein entwicklungsprozess, der sich auf die situation der grünen übertragen ließe. In anlehnung an Klaus Werner Lobo:

Ein derartiges projekt könnte zum beispiel innerhalb der wiener grünen als „spielwiese“ zur entwicklung und schärfung eines partizipativen modells von politik gesehen werden, mit der perspektive, dieses in der folge und wegen des großen erfolges auf größere (politische) systeme zu übertragen und zu erweitern. Die grünen hätten damit die chance, ihre stellung als innovationsträger im bereich der kultur des politischen weiter auszubauen. Letztlich lässt sich träumen von einem strukturellen wandel hin zu prozessen, die, ohne die mühen basisdemokratischer projekte der 70er jahre zu wiederholen, inhaltliche teilhabe auf breiter ebene demokratisieren.  Zu unser aller ausgeschlafenheit und ideenfreude.